Gelsenkirchen: AfD-Politiker zum zweiten Bürgermeister gewählt
Zusammenfassung: In Gelsenkirchen erhielt ein AfD-Kandidat Stimmen aus anderen Fraktionen und setzte sich gegen die CDU durch.
Entscheidung im Rat: Die Wahl zum zweiten Bürgermeister wirft Fragen zum Abstimmungsverhalten auf.
In Gelsenkirchen ist AfD-Fraktionschef Norbert Emmerich zum zweiten Bürgermeister gewählt worden. Das Wahlergebnis sorgt bundesweit für Diskussionen, da Emmerich mehr Stimmen erhielt, als seine eigene Fraktion Mandate besitzt. Der Vorgang lenkt den Blick auf die Unterschiede zwischen Bundes- und Kommunalpolitik beim Umgang mit der AfD.
Die Fakten im Überblick
- Wahlergebnis: Norbert Emmerich erhielt 23 Stimmen – drei mehr, als die AfD Sitze im Rat hat. Mindestens drei Ratsmitglieder anderer Fraktionen stimmten für ihn.
- Gescheiterte Absprache: SPD und CDU hatten im Vorfeld eine gemeinsame Liste geplant, um einen AfD-Erfolg zu verhindern. Deutschlandfunk
- Konsequenz: Durch das angewandte Zählverfahren landete Emmerich vor dem CDU-Kandidaten Werner Wöll.
- Trend: Ähnliche Vorgänge gab es kürzlich in Bochum und Bad Salzuflen bei der Besetzung von Stellvertreterposten.
Ablauf der Wahl in Gelsenkirchen
Am vergangenen Mittwoch wählte der Rat der Stadt Gelsenkirchen seine stellvertretenden Bürgermeister. Der 72-jährige Norbert Emmerich konnte sich dabei als zweiter Bürgermeister durchsetzen. Im Vorfeld hatten die Fraktionen von SPD und CDU versucht, durch eine Listenverbindung die Wahl eines AfD-Vertreters zu blockieren. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch in der geheimen Abstimmung.
Nach der Wahl äußerte sich die CDU kritisch zum Ergebnis und dem Abstimmungsverhalten im Rat:
„[Ein] Desaster aus Sicht der CDU." — Sascha Kurth, CDU-Fraktionschef Gelsenkirchen
Während Emmerich bei der direkten Oberbürgermeisterwahl mit rund 33 Prozent der Stimmen der SPD-Kandidatin Andrea Henze unterlegen war, ermöglichte ihm das System der indirekten Wahl im Rat nun den Einzug in das repräsentative Amt. Stadt Gelsenkirchen
Unterschiede: Direktwahl vs. Wahl durch Räte
Ein Blick auf die bundesweiten Zahlen zeigt eine Diskrepanz zwischen Direktwahlen durch die Bürger und indirekten Wahlen in den Gremien.
Direktwahlen (Bürgermeister/Landräte)
Bei Direktwahlen, bei denen die Wähler unmittelbar über Personen entscheiden, konnte die AfD in Westdeutschland bisher keine exekutiven Spitzenämter erringen. In Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern verloren AfD-Kandidaten im Jahr 2025 ihre Stichwahlen.
Erfolge verzeichnete die Partei hingegen in Ostdeutschland:
- Sonneberg (Thüringen): Robert Sesselmann wurde im Juni 2023 zum ersten AfD-Landrat gewählt. LTO, Juni 2023
- Raguhn-Jeßnitz (Sachsen-Anhalt): Hannes Loth amtiert seit Juli 2023 als hauptamtlicher Bürgermeister. taz, Juli 2023
Indirekte Wahlen (Stellvertreter)
In kommunalen Räten, wo oft geheim abgestimmt wird und das Sitzverteilungsverfahren (z.B. D'Hondt) eine Rolle spielt, gelangt die AfD häufiger in Ämter. Gelsenkirchen ist kein Einzelfall: Landtagsblog
- Bochum-Wattenscheid: Cedric Sontowski wurde im November 2025 zum zweiten stellvertretenden Bezirksbürgermeister gewählt – ebenfalls mit Stimmen aus anderen Lagern. Stadt Bochum, Nov. 2025
- Bad Salzuflen: Sabine Reinknecht wurde Anfang November zur stellvertretenden Bürgermeisterin gewählt. Spiegel, Nov. 2025 Nach öffentlicher Kritik stellten andere Fraktionen jedoch kurz darauf einen Abwahlantrag. Die Abwahl erfolgte wenige Tage später. Spiegel, Nov. 2025
Bundesweite Perspektive: Gelsenkirchen reiht sich in eine Serie ähnlicher Vorgänge ein.
Analyse: Die „Brandmauer“ auf lokaler Ebene
Die Vorgänge in Gelsenkirchen und anderen Kommunen werfen die Frage auf, wie tragfähig die sogenannte „Brandmauer“ – also die strikte Verweigerung der Zusammenarbeit mit der AfD – auf der untersten politischen Ebene ist.
Beobachter nennen mehrere Faktoren für diese Entwicklung:
- Geheime Abstimmungen: Anders als im Bundestag, wo namentliche Abstimmungen üblich sind, schützen geheime Wahlen in Kommunalparlamenten abweichende Ratsmitglieder vor Sanktionen oder öffentlicher Kritik.
- Sachpolitik: Auf kommunaler Ebene stehen oft pragmatische Themen im Vordergrund, bei denen ideologische Grenzen teilweise verschwimmen. Studien der Rosa-Luxemburg-Stiftung dokumentierten zwischen 2019 und 2024 über 120 Fälle von Kooperationen auf kommunaler Ebene. taz, 2024
Die AfD wertet diese Vorgänge als Zeichen einer Normalisierung. Der nordrhein-westfälische AfD-Landeschef kommentierte die Entwicklungen im Ruhrgebiet entsprechend:
„AfD-Bürgermeister sind nur noch eine Frage der Zeit." — Martin Vincentz, AfD-Landeschef NRW
Ausblick
Die kommenden Monate werden zeigen, ob Wahlergebnisse wie in Gelsenkirchen Ausnahmen bleiben oder ob sich eine faktische Zusammenarbeit in den Kommunalparlamenten etabliert. Offen bleibt zudem, ob es – wie im Fall Bad Salzuflen – zu nachträglichen Korrekturen durch Abwahlanträge kommt, sobald die Ergebnisse öffentlich diskutiert werden.