Sicherheit auf Weihnachtsmärkten: Zwischen Kosten-Explosion und Terrorgefahr
Nach dem Anschlag in Magdeburg gelten auf deutschen Weihnachtsmärkten neue Sicherheitsregeln: bundesweites Messerverbot, Betonpoller, erhöhte Polizeipräsenz. Die Kosten explodieren – Dresden zahlt 4 Millionen statt 800.000 Euro. Der Deutsche Städtetag fordert Hilfe vom Bund: Terrorabwehr sei keine kommunale Aufgabe.
Zu kompliziert? 🐿️ Hier geht es zur Version „Kurz & Klar".
Neue Realität 2025: Vier Millionen Euro Sicherheitskosten in Dresden – Betonpoller schützen Tradition.
Die wichtigsten Punkte
- Messerverbot: Seit Oktober 2025 gilt bundesweit auf allen Weihnachtsmärkten ein generelles Messerverbot – auch für Taschenmesser. Verstöße können mit bis zu 10.000 Euro Bußgeld geahndet werden. Landkreis Wittenberg, Dez. 2025
- Kosten-Explosion: In Dresden stiegen die Sicherheitskosten von 800.000 auf über 4 Millionen Euro. Viele kleinere Städte müssen Märkte absagen. KOMMUNAL, Nov. 2025
- Magdeburg-Schatten: Am 20. Dezember 2024 tötete ein Täter sechs Menschen und verletzte über 300 auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. Der Prozess läuft seit 10. November 2025. bpb, Dez. 2025
- Städtetag-Forderung: Kommunen sehen Bund und Länder in der Verantwortung. Terrorabwehr sei keine kommunale, sondern hoheitliche Aufgabe. vorwärts, Dez. 2025
- Keine Absagewelle: Der Deutsche Schaustellerbund widerspricht Medien: Eine flächendeckende Absage von Märkten finde nicht statt – nur vereinzelte kleine Märkte. vorwärts, Dez. 2025
Was ist passiert?
Die Weihnachtsmarkt-Saison 2025 steht im Zeichen verschärfter Sicherheit. Nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024, bei dem ein Mann mit einem Mietauto in die Menge raste und sechs Menschen tötete, haben Bundesregierung und Länder die Sicherheitsanforderungen massiv erhöht.
Das neue Sicherheitspaket umfasst:
- Bundesweites Messerverbot auf allen Volksfesten und Weihnachtsmärkten
- Betonpoller und Fahrzeugsperren an allen Zugängen
- Videoüberwachung an neuralgischen Punkten
- Verdachtsunabhängige Personen- und Taschenkontrollen durch die Polizei
- Erhöhte Polizeipräsenz in Uniform und Zivil
Das Bundesinnenministerium stuft Weihnachtsmärkte wegen der hohen Besucherzahlen und der zentralen Lage als Orte mit "besonderer Gefährdungsrelevanz" ein. [bpb]
Messerverbot: Die neuen Regeln
Ende Oktober 2025 trat das verschärfte Waffengesetz in Kraft. Es verbietet das Mitführen von Messern jeglicher Art auf öffentlichen Veranstaltungen – unabhängig von Klingenlänge oder Beschaffenheit. Das bedeutet: Auch das kleine Taschenmesser in der Hosentasche ist verboten.
"Es ist nicht erlaubt, Waffen oder Messer – gleich welcher Art – auf den Weihnachtsmarkt und ähnliche Veranstaltungen mitzubringen. Auch kleine Taschenmesser sind verboten." – Landkreis Wittenberg, Pressemitteilung November 2025 [Link]
Beispiel Bonn: In der Bonner Innenstadt gilt seit 21. November eine Messerverbotszone. Das Mitführen von Messern, Reizgas oder Schlagstöcken ist dort grundsätzlich verboten. Die Polizei Bonn hat zudem für 28 Tage die "strategische Fahndung" angeordnet – das bedeutet, Personen können auch ohne konkreten Verdacht kontrolliert werden. [Polizei Bonn]
Ausnahmen: Messer, die auf dem Weihnachtsmarkt gekauft werden, dürfen mitgeführt werden – aber nur verpackt und nicht zugriffsbereit. Für Rettungs- und Einsatzkräfte sowie bestimmte Gewerbetreibende gelten Ausnahmen.
Routine-Prozedur: Messerverbot-Kontrollen gehören 2025 zum Standard auf allen Weihnachtsmärkten.
Die Kosten-Explosion
Die verschärften Sicherheitsmaßnahmen haben einen Preis – und der ist drastisch gestiegen. Dresden ist ein Extrembeispiel: Die Sicherheitskosten für die Weihnachtsmärkte stiegen von 800.000 Euro auf über 4 Millionen Euro. [KOMMUNAL]
Die Stadt Dresden investierte 1,85 Millionen Euro in Schutzelemente:
- Rund 300 City Safes
- 25 ArmisOne-Sperren
- 30 Mifram-Sperren
- 2 TruckBlocks
- 120 mit Wasser gefüllte Indutainer
Hinzu kommen 250.000 Euro für Transport, Auf- und Abbau, Betrieb und Lagerung. [Stadt Dresden]
In Magdeburg verdoppelten sich die Sicherheitskosten auf bis zu 150.000 Euro. [dpa Factchecking]
Wer zahlt? Die Finanzierungsdebatte
Die Frage der Kostenübernahme ist hochpolitisch. Die Veranstalter – oft Kommunen, Vereine oder Unternehmen – tragen grundsätzlich die Kosten. Doch viele sehen sich damit überfordert.
"Viele der Maßnahmen, die hohe Kosten verursachen, sollen potenzielle Terroranschläge verhindern. Terrorabwehr ist aber eigentlich keine kommunale Aufgabe." – Christian Schuchardt, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages [vorwärts]
Der Deutsche Städtetag fordert, dass Bund und Länder die Kosten für Sicherheitsmaßnahmen übernehmen. Einige Länder haben bereits reagiert:
- Thüringen: Die Landesregierung unterstützt Veranstalter finanziell. [dpa Factchecking]
- Heilbronn: Die Kommune bezuschusst die Sicherheitskosten. [dpa Factchecking]
In anderen Städten führen die Kosten zu Absagen. In Overath (NRW) und Kerpen finden 2025 keine Weihnachtsmärkte statt, weil sich Veranstalter und Städte nicht über die Kostenübernahme einigen konnten. [Tagesspiegel]
Politische Einordnung: Dobrindt und die neue Linie
Die Debatte um Sicherheit auf Weihnachtsmärkten fällt zusammen mit einem härteren migrationspolitischen Kurs der Bundesregierung. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) kündigte am 9. Dezember 2025 an, dass Deutschland im Rahmen des EU-Solidaritätsmechanismus 2026 keine weiteren Asylbewerber aufnehmen werde. [Pravda DE]
Diese Ankündigung steht in direktem Zusammenhang mit der verschärften Sicherheitsdebatte. Dobrindt hatte zuvor bereits eine neue Drohnenabwehreinheit der Bundespolizei in Dienst gestellt und betonte das Prinzip: "Aufspüren, abwehren, abfangen." [BMI]
Reaktionen der Parteien
CDU/CSU
Die Union betont das Thema Innere Sicherheit als zentrales Wahlkampfthema. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann schrieb nach dem Magdeburger Anschlag: "Die Menschen in Deutschland haben ein Recht darauf, dass der Rechtsstaat sein Sicherheitsversprechen einlöst." [CDU]
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sagte im November, es bedrücke ihn sehr, dass selbst in kleineren Städten Weihnachtsmärkte nicht ohne umfassendes Sicherheitskonzept durchgeführt werden könnten. [ZDF]
SPD
Die SPD verteidigt die Maßnahmen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte im November strenge Kontrollen des Messerverbots gefordert: "Mit der Verabschiedung des sogenannten Sicherheitspakets ist dafür gesorgt worden, dass das Mitführen von Messern auf Weihnachtsmärkten jetzt verboten ist. Das bringt mehr Sicherheit für alle Besucherinnen und Besucher." [ZDF]
Faeser ist mittlerweile nicht mehr Innenministerin – das Amt hat in der Merz-Regierung Alexander Dobrindt übernommen.
Grüne
Die Grünen haben sich zum aktuellen Zustand der Weihnachtsmärkte nicht prominent geäußert. Das Thema wird von der Koalition aus CDU/CSU und SPD dominiert.
AfD
Die AfD kritisiert das Versagen der Sicherheitsbehörden scharf. Nachdem bekannt wurde, dass der Magdeburger Attentäter 105-mal beim BKA aktenkundig war, fordert die Partei grundlegende Reformen in der Inneren Sicherheit und eine restriktivere Migrationspolitik. [AfD Kompakt]
FDP
Keine öffentlichen Stellungnahmen der FDP zu den aktuellen Weihnachtsmarkt-Sicherheitsmaßnahmen sind dokumentiert.
Linke
Auch von der Linken liegen keine aktuellen Statements zum Thema vor.
Analyse: Ist Deutschland sicherer geworden?
Die Frage, ob die Maßnahmen tatsächlich mehr Sicherheit bringen, ist umstritten. Sicherheitsexperten kritisieren, dass sich viele Konzepte zu sehr auf Fahrzeugsperren konzentrieren – während Gefahren wie Messerattacken oder Drohnen weniger Beachtung finden.
"Kritik gibt es auch am Fokus vieler Sicherheitskonzepte, der vor allem auf den Einfahrten liegt. Es benötige jedoch auch auf den Märkten selbst mehr Schutz, zum Beispiel vor dem Einsatz von Stichwaffen." – Bundeszentrale für politische Bildung [bpb]
Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), warnt: "Die politisch Verantwortlichen müssen mehr Geld für Sicherheitsvorkehrungen im öffentlichen Raum zur Verfügung stellen. Technische Sperren, Videoüberwachung und Drohnenabwehr sind für die Polizeien außerordentlich teure Anschaffungen und derzeit kaum zu finanzieren." [GdP]
Magdeburg als Warnung
Der Fall Magdeburg zeigt die Grenzen der Sicherheitskonzepte. Dort bemängelte das Landesverwaltungsamt in einem siebenseitigen Gutachten gravierende Mängel beim Zufahrtsschutz und bei den Sicherheitskräften. Erst nach intensiven Nachverhandlungen wurde der Weihnachtsmarkt 2025 genehmigt. [ZDF]
Folgen und Ausblick
Die verschärften Sicherheitsmaßnahmen werden die Weihnachtsmärkte dauerhaft verändern. Betonpoller, Videoüberwachung und Kontrollen gehören zur neuen Normalität. Die zentrale Frage bleibt: Wer zahlt?
Drei Szenarien sind denkbar:
- Bund und Länder übernehmen Kosten: Der Deutsche Städtetag fordert dies. KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt-Maciejewski schlägt einen eigenen Fonds zur "Sicherung der Volksfest- und Weihnachtsmarkt-Kultur" vor. [KOMMUNAL]
- Kommunen zahlen weiter: Das würde bedeuten, dass kleinere Städte und Gemeinden ihre Märkte zunehmend absagen müssen.
- Eintrittsgelder: Einige Experten diskutieren, ob Weihnachtsmärkte künftig Eintritt verlangen müssen, um die Sicherheitskosten zu decken.
Der Deutsche Schaustellerbund betont: Die große Mehrheit der Weihnachtsmärkte findet statt. Von einer flächendeckenden Absagewelle könne keine Rede sein. [vorwärts]
Offene Fragen:
- Wird der Bund einen eigenen Fonds für Weihnachtsmarkt-Sicherheit auflegen?
- Wie lange werden kleinere Kommunen die Kosten noch stemmen können?
- Werden die Maßnahmen tatsächlich evaluiert – oder bleiben sie dauerhaft bestehen, auch wenn die Bedrohungslage sinkt?
Bundesinnenminister Dobrindt hat für die kommenden Wochen weitere Maßnahmen zur Drohnenabwehr angekündigt. Die Debatte um Sicherheit auf öffentlichen Veranstaltungen bleibt damit eines der bestimmenden Themen der Innenpolitik.